§78

Auschwitz-Prozess Neubrandenburg

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Offener Brief zum Neubrandenburger Auschwitz-Prozess

30.03.2017

Mit einem Offenen Brief wenden sich Auschwitz-Überlebende, KZ-Gedenkstätten und Vertreter aus Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an die Schwurgerichtskammer beim Landgericht Neubrandenburg. Sie werfen dem Gericht vor, den Prozess gegen den ehemaligen SS-Angehörigen Hubert Zafke wegen Beihilfe zum Mord in 3.861 Fällen im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu verschleppen und fordern, das Hauptverfahren unverzüglich neu zu eröffnen.

Für Empörung sorgte das Landgericht Neubrandenburg zuletzt, weil es erneut und widerrechtlich versucht hatte, Auschwitz-Überlebende als Nebenkläger vom Verfahren auszuschließen. Das Gericht habe die Rechte der Nebenklage missachtet und in der Welt den Eindruck erweckt, das Verfahren unbedingt verhindern oder sabotieren zu wollen, heißt es in dem Brief, der ab heute als Online-Petition unterzeichnet werden kann.

Bereits im Februar 2015 hat die Staatsanwaltschaft Schwerin Anklage gegen Hubert Zafke erhoben. Ihm wird vorgeworfen, als SS-Sanitäter vom 15. August bis zum 14. September 1944 am Massenmord in Auschwitz-Birkenau mitgewirkt zu haben. In diesem Zeitraum erreichten mindestens 14 Deportationszüge mit tausenden Menschen das Vernichtungslager, mit einem auch Anne Frank und ihre Familie. Kinder, Alte und Kranke wurden unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Über den Vorwurf, den Massenmord unterstützt zu haben, schweigt der Angeklagte. „Damals Sanitäter in Auschwitz zu sein, konnte heißen, Zyklon B in die Gaskammern zu schütten“, so Roman Guski, Mitverfasser des Briefes: „Wir wollen wissen, was der Angeklagte in Auschwitz getan, gesehen und gehört hat.“

Doch statt um die Verantwortung des Angeklagten und das historische Geschehen habe sich das Verfahren bisher nur um die Gebrechen des Angeklagten gedreht. Obwohl ein fachpsychiatrisches Gutachten die Verhandlungsfähigkeit festgestellt hatte, nahm das Gericht keine umfassende Prozessplanung vor. Nach mehr als zwei Jahren sei noch immer kein Urteil in Sicht. Dies kritisieren die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes scharf. Zwar sei schwierig zu vermitteln, dass sich ein hochbetagter Mann für Jahrzehnte zurückliegende Taten vor Gericht verantworten müsse, aber auch die Überlebenden von Auschwitz sind heute alt und gebrechlich. Für sie, insbesondere für den Nebenkläger Walter Plywaski sei das ignorante und ablehnende Verhalten des deutschen Gerichts zur Tortur geworden. "Ihnen, denen Gerechtigkeit so lange versagt blieb, gilt unser Mitgefühl", heißt es in dem Offenen Brief.

Zu den Unterzeichnern gehören Überlebende der Shoah wie Esther Bejarano, Batsheva Dagan und Horst Selbiger sowie Organisationen, die Überlebende vertreten oder unterstützen. Auch Vertreter von KZ-Gedenkstätten wie Dr. Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) und nationale wie internationale Wissenschaftler, darunter Prof. Dr. Andreas Nachama und Prof. Dr. Michael Wildt unterstützen den Offenen Brief. Unterschrieben haben zudem die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld, die sich seit Jahrzehnten für die Verfolgung von NS-Verbrechen einsetzt, sowie die Publizistin Lea Rosh, die sich maßgeblich für die Schaffung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas eingesetzt hat. Unterstützung fand das Schreiben auch in der Stadt Neubrandenburg und dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Einzelpersonen können den Brief seit heute auf der Online-Plattform Change.org unterzeichnen.